Pressespiegel 2016

 

20. Januar 2016: Zeitzeugenbuch als Höhepunkt

10. Februar 2016: „Rechts und links brannten die Häuser“

10. Mai 2016: „Da war Esch ein Fahnenmeer“

01. August 2016: „Dass ich überlebt habe, ist ein Wunder“

14. Oktober 2016: „Dann gehört Euer Haus mir!“

14. Dezember 2016: „Schlägertrupps bleiben in Erinnerung“

17. Dezember 2016: Reservistenkameradschaft Idstein spendet 1000 Euro aus Bucherlös an den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge

 

 

werbul1d Idsteiner Zeitung, 20. Januar 2016

 

Zeitzeugenbuch als Höhepunkt

 

Idsteiner Reservistenhalten Rückschau und haben auch 2016 viel vor

 

Traditionell am dritten Sonntag im Januar lädt die Reservistenkameradschaft (RK) Idstein zu ihrem Neujahrsempfang ein. Neben Mitgliedern der RK waren in diesem Jahr der Erste Kreisbeigeordnete Heinz Juhnke und der Idsteiner Stadtrat Felix Hartmann sowie Vertreter befreundeter Kameradschaften und Hilfsorganisationen der Einladung gefolgt.

 

Der Vorsitzende der RK Idstein, Oberfeldwebel d. R. Andreas Heidler, konnte auf ein erfolgreiches Jahr 2015 zurückblicken. Höhepunkt des vergangenen Jahres sei die Präsentation des Zeitzeugenbuches „Ich war dabei“ im Idsteiner Gerberhaus gewesen. Überhaupt hätten sich in den vergangenen Jahren die Zeitzeugenabende der Idsteiner Reservisten zu einer festen und stets gut besuchten Veranstaltungsreihe entwickelt. Auch die Pflege des Kriegsgräberfriedhofs in Idstein, die Sammlung für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und die Teilnahme am Volkstrauertag seien feste Termine im Terminkalender der Reservistenkameradschaft und sollen es auch 2016 wieder sein. Neben diesen Veranstaltungen werde es 2016 auch wieder eine Familienfahrt geben, die Anfang Juni zu den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges in die Umgebung der französischen Stadt Verdun führen wird.

 

Der Erste Kreisbeigeordnete Heinz Juhnke verband seine Neujahrsgrüße, die er stellvertretend für Landrat Burkhard Albers überbrachte, mit dem Dank an die Bundeswehr, die im Rahmen der Flüchtlingsarbeit Ende 2015 auch im Rheingaus-Taunus-Kreis eingesetzt war – unter anderem mit vielen Reservisten. Er richtete seinen Blick aber auch auf die große Politik. „Nach der Wiedervereinigung und dem Ende des Kalten Krieges dachten wir alle, dass wir nur noch von Freunden umgeben seien – eine Konsequenz war die Verkleinerung der Bundeswehr. Dass wir heute – 25 Jahre danach – die Bundeswehr im Rahmen von Auslandseinsätzen mehr denn je brauchen würden, hätten wir damals auch nicht gedacht.“

 

Würdigende Grußworte

 

In Vertretung des Idsteiner Bürgermeisters Christian Herfurth überbrachte Stadtrat Felix Hartmann Grüße. Durch seine Mitgliedschaft in der RK hat Hartmann auch eine persönliche Beziehung zu den Reservisten, was in seinen Grußworten deutlich wurde. Besonders hob er hier die Kameradschaft hervor, die ihn selbst in seiner Bundeswehrzeit stark prägte. „Die Stadt Idstein ist stolz auf die RK Idstein, auf ihre Leistungen und Beiträge für die Gesellschaft. Ganz besonders die Zeitzeugenabende und das Zeitzeugenbuch sind ein wichtiger Beitrag zur Vergangenheitserarbeitung.“

 

Nach weiteren Grußworten der befreundeten Kameradschaften und Organisationen wurden vier Mitglieder der RK Idstein für ihre langjährigen Mitgliedschaften geehrt: Stabsfeldwebel a. D. Volker Kraft (zehn Jahre), Obergefreiter d. R. Peter Born (20 Jahre), Oberstabsfeldwebel d. R. Klaus Bücher (40 Jahre) und Oberleutnant d. R. Ulfert Nägele (50 Jahre).

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 10. Februar 2016

 

„Rechts und links brannten die Häuser“

 

Zeitzeuge Manfred Voll zu Gast bei den Idsteiner Reservisten

 

Die Zeitzeugenabende der Idsteiner Reservisten starteten ins Jahr 2016 mit einem Bericht des 80-jährigen Manfred Voll, der am 22. Mai 1935 in Berlin-Wedding geboren wurde. Sein Vater Heinrich kam aus Völkershausen/Rhön in Thüringen 1928 nach Berlin. Seine Mutter Käthe, geborene Unterspann, wurde in Königsberg/Ostpreußen geboren, kam aber schon früh nach Berlin und war bis kurz vor der Hochzeit am 30. September 1933 zuerst im Auswärtigen Amt und später im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda als Büroangestellte beschäftigt.

 

Jüdische Nachbarn

 

Den Beginn des Krieges erlebte Manfred Voll in Berlin, die Menschen jubelten. Als die deutschen Truppen nach dem Sieg über Frankreich zum Brandenburger Tor marschierten, stand er mit seinem Vater am Straßenrand. Es wurden Fähnchen verteilt. „Ich war enttäuscht, weil ich keine Hakenkreuzfahne bekam.“ 1941 stand seine Einschulung bevor. Am 25. August 1941 flog die britische Luftwaffe erste schwere Angriffe auf Berlin. „Unsere Einschulung fand am 1. September in der Turnhalle statt, weil die ersten Toten bei uns in der Aula aufgebahrt waren. Ganz in der Nähe unserer Schule, am Nordhafen waren die Bomben eingeschlagen und hatten das Vorderhaus zum Einsturz gebracht. Wir besichtigten mit meiner Mutter die beschädigten Häuser und sammelten Granatsplitter.“ Volls Großvater hat 1912 ein Mietshaus gebaut, in dem er mit seinen Eltern wohnte. Im Seitenflügel wohnte Familie Salzenbrodt. „Im Jahr 1941 oder 1942 besuchte Frau Salzenbrodt meine Mutter. Sie saß weinend in der Küche, weil sie einen Judenstern tragen musste. Als am Abend mein Vater von der Arbeit kam, erzählte meine Mutter von dem Besuch und es gab einen großen Krach. Dass meine Mutter als Frau eines Partei-Mitglieds, die Jüdin in die Wohnung gelassen hat, war zu dieser Zeit mehr als gefährlich.“

 

Als die Bombenangriffe auf Berlin immer schlimmer wurden, brachte Volls Vater die Familie nach Thüringen ins Haus der Großeltern. Seine Mutter versuchte immer wieder nach Berlin zurückzukehren, die Eltern litten unter der Trennung. Der Vater holte die Familie mit dem Zug aus Thüringen ab. „Schon die Fahrt war der Horror. Als wir ankamen, hatten die Alliierten gerade einen Angriff geflogen. Rechts und links brannten in Berlin die Häuser und der Zug fuhr durch diese Hölle, es war furchtbar! Wir spürten im Zug die Hitze, überall schrien die Menschen.“

 

Eroberung des Dorfes

 

Anfang 1945 war die Familie wieder in Thüringen und erlebte die Eroberung des Dorfes Völkershausen durch die Amerikaner. Das Hitlerbild aus der Gaststube und Hakenkreuzfahnen wurden schnell entfernt. Die Truppen waren schon auf dem Dorfplatz, als Volls Großvater die weiße Fahne hissen wollte. „Die Offiziere wohnten bei uns im Haus. Es gab keine Probleme, wir haben immer zusammen gegessen. Nach dem Krieg arbeitete Voll für einen Druckmaschinenhersteller. Sein Arbeitsweg führte ihn mehrere Jahre nach Südamerika, bis er schließlich zur Firma Kalle nach Wiesbaden kam. Heute verbringt er seinen Ruhestand mit seiner Frau in Bechtheim.

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 10. Mai 2016

 

„Da war Esch ein Fahnenmeer“

 

Zeitzeuge Helmut Wald berichtet von seinen Erinnerungen an die Zeit des Nationalsozialismus

 

Viele Gäste hatten wieder den Weg zum mittlerweile 40. Zeitzeugenabend der Reservistenkameradschaft Idstein gefunden. Gast war der 1932 geborene Escher Helmut Wald. Mit knapp sechs Jahren kam er 1938 in die Grundschule in Esch, mit zehn wechselte er im Sommer 1942 zur Mittelschule nach Idstein.

 

Mit dem Rad zur Schule

 

Neben dem Schulwechsel nach Idstein gab es für Helmut Wald 1942 noch ein weiteres besonderes Ereignis: die Aufnahme in das Jungvolk. Als sogenannter „Pimpf“ trug man schwarze Hose, Braunhemd, Halstuch mit geflochtenem Lederknoten, Koppel, Fahrtenmesser und Schulterriemen. Es gab Geländespiele für die Jungvolk-Züge aus Idstein und den umliegenden Dörfern. „Dabei wurden üblicherweise die Idsteiner Sieger“, bekannte Helmut Wald schmunzelnd. Als Pimpf hatte man aber auch Dienst zu leisten. „Dann marschierten wir durchs Dorf hinter einem Fahnenträger mit seinem schwarzen Wimpel her. Der Zugführer kommandierte: ,Ein Lied‘, und wir sangen die damals üblichen Lieder.“

 

„Wir waren aus Esch zu sechst, davon fuhren vier mit dem Fahrrad. Ich lief zunächst mit einem weiteren Escher bei Wind und Wetter im Herbst und Winter bis Frühjahr 1943 meistens bei Dunkelheit nach Idstein. Heute wäre das für Zehnjährige wohl nicht mehr denkbar. Ab Frühjahr 1943 hatte ich dann ein Fahrrad.“ Seine frühesten Erinnerungen an die Zeit im Dritten Reich stammen von den letzten Reichstagswahlen im April 1938: Da war Esch ein Fahnenmeer – aus allen Häusern hingen Hakenkreuzfahnen. „Aus unserer Dachgaube hing an einer langen Fahnenstange ebenfalls eine Fahne über der Straße.“

 

Dann kam der Krieg. Bei Bürgerversammlungen während des Krieges im Saalbau „Zur Krone“ erschienen viele Männer in Uniform – „darunter natürlich auch der Bürgermeister. Er und sein Adlatus, jeweils braun uniformiert mit großen Schirmmützen auf dem Kopf, marschierten in den Saal ein“. Zum Abschluss der Veranstaltungen nach einem dreifachen „Sieg Heil“ wurde dann immer das Deutschlandlied gesungen und an dessen Ende sofort weiter „Die Fahne hoch“.

 

Eingesperrt und bewacht

 

Nach dem Frankreichfeldzug im Sommer 1940 kamen französische Kriegsgefangene nach Esch, die den Landwirten bei der Feldarbeit halfen. Nachts wurden sie in eine gemeinsame Unterkunft in einem Saal eingeschlossen, wo sie auch bewacht wurden. „Auf dem Hof meines Großvaters waren nacheinander zwei französische Soldaten tätig – Gaston und Louis. Später kam noch eine Polin namens Wanda.“

 

In den letzten beiden Kriegsjahren musste Helmut Wald auf dem Nachhauseweg von Idstein sehr auf die Jagdflieger aufpassen und immerzu geeignete Deckung im Blick haben. „Gleich hinter dem Idsteiner Judenfriedhof waren Splittergräben in die Böschung gegraben. Mehrmals haben wir die Räder hingeschmissen und sind in diese Zick-Zack-Gräben gerannt. Dort war es relativ sicher und man konnte die Jagdbomber beobachten, die über den Feldern am Tiergarten eine Schleife drehten und dann Richtung Eisenbahn losjagten, um Ziele am Bahnhof oder auf der Bahnstrecke bis Wörsdorf zu beschießen.“ Immer wieder gab es auch Abstürze oder Abschüsse. Besonders erinnert Wald sich an einen alliierten Bomber, der 1943 nachts im Tiefflug mit lautem Geräusch über Esch hinwegraste und am Ortsrand von Würges ins Feld stürzte. Anderntags ist er mit einigen Freunden mit dem Fahrrad nach Würges gefahren, um sich die Trümmer anzuschauen. „Offenbar waren alle Bomberinsassen umgekommen. Erbaulich war das nicht. Ich erinnere mich, dass einer tot in seiner Heck-Kanzel eingeklemmt war. Die übrigen lagen – teilweise abgedeckt – auf dem Gelände.“

 

Schließlich kam das Kriegsende. In den Wirren der letzten Kriegstage 1945 machten ausländische Zwangsarbeiter die Gegend unsicher. „Zusammengezogen aus der ganzen Gegend haben sie in der Idsteiner Bauschule gehaust. Eine Meute überfiel zweimal die außerhalb von Esch liegende Hirtese-Mühle.“ Im März 1945 kamen dann die Amerikaner von Idstein her und vor allem aus Richtung Limburg über die heutige B 8. „Das war eine Riesenkolonne mit Panzern und Lkws jeder Größe.“ In Esch selbst gab es keine Kampfhandlungen.

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 01. August 2016

 

„Dass ich überlebt habe, ist ein Wunder““

 

Zeitzeugen-Abend mit Herbert Weber

 

Bei dem jüngsten Zeitzeugen-Abend der Reservistenkameradschaft Idstein ließ Herbert Weber seine bewegende Lebensgeschichte Revue passieren.

 

Seine 90 Jahre merkt man dem am 9. Juli 1926 geborenen Zeitzeugen aus Görsroth nicht an. „Ich kam als Frühchen mit nur zwei Kilo Gewicht auf die Welt. Dass ich überlebt habe, ist ein Wunder, keiner hätte gedacht, dass ich mal 90 werde. Mein Vater führte in Wiesbaden ein Feinkostgeschäft. An politische Dinge aus meiner Kindheit erinnere ich mich kaum. Am Ring gab es oft Fackelzüge, die ich interessiert anschaute. Und dann gab es auch oft Prügeleien zwischen Kommunisten und der SA. Aber an mehr erinnere ich mich nicht.“

 

1933 wurde Weber eingeschult, 1936 kam er als sogenannter „Pimpf“ zum Deutschen Jungvolk. Später kam er zur Hitlerjugend – zur sogenannten Flieger-HJ. Anschließend ging es zur kaufmännischen Lehre nach Kassel – schließlich wollte er einmal das väterliche Geschäft übernehmen. Von dort musste er zum Reichsarbeitsdienst (RAD) nach Fritzlar – 30 Kilometer von Kassel entfernt. Dann kam der 22. Oktober 1943. Am Nachmittag dieses Tages starteten 569 Bomber in England und erreichten gegen 20.45 Uhr Kassel. Rund 7000 Menschen kamen bei diesem Angriff ums Leben. Herbert Weber wurde mit seinen Kameraden nach Kassel in Marsch gesetzt, um bei den Aufräumarbeiten zu unterstützen. Mit Atemschutzmasken arbeiteten sie in der Altstadt und schaufelten Schutt weg.

 

„Die Straßen waren weich wie Pudding“

 

„Wir konnten immer nur kurz arbeiten, dann mussten wir Pause machen. Alles war noch heiß, die Straßen waren weich wie Pudding. An einem Tag haben wir pausenlos Tote aus einem Luftschutzkeller geholt. Die waren dort erstickt. Diesen Anblick werde ich mein Leben lang nicht vergessen.“

 

Im Januar 1944 wurde er aus dem RAD entlassen. Ende Mai kam dann der Gestellungsbefehl. So ging es für Herbert Weber über Trier nach Tulle in Frankreich zur Ausbildung und im August ging es in den Einsatz – zuerst per Bahn, dann zu Fuß und schließlich mit dem Pferdewagen bis nach Belfort. Dann fuhr man mit einem Lkw Richtung Front. Es ging in ein Waldstück, von dessen Rand die Gruppe auf ein Dorf blicken konnte. „Alle 50 Meter stand ein amerikanischer Panzer und die Amis sprangen durch das Dorf.“ Am nächsten Morgen hatten die Amerikaner die Gruppe eingekesselt. Als die Amis dann kamen, haben Weber und seine Kameraden sich ergeben. Per Frachtschiff ging es von Südfrankreich nach Norfolk in den USA. Den Gefangenen wurde eine Glatze geschoren. Sie wurden in Holzhäusern mit jeweils zwei Schlafsälen á 25 Schlafplätzen untergebracht. Tagsüber wurden die Gefangenen zur Baumwoll-Ernte eingesetzt. Dann kam das Kriegsende. Irgendwann ging es heim nach Europa. Statt nach Deutschland ging es nach England, wo Weber von 1946 bis 1948 noch einmal arbeiten musste. 1948 ging es endlich nach Hamburg und von dort nach Wiesbaden. Vom Hauptbahnhof fuhr er mit dem Bus zur Ringkirche, wo das elterliche Geschäft war. „Ich habe mich irgendwie nicht getraut, nach Hause zu gehen. Ich saß auf meinem Seesack und habe eine Zigarette nach der anderen geraucht.“

 

Später übernahm Herbert Weber den Laden des Vaters – „Feinkost-Weber am Ring“. Diesen führte er bis zu seinem Ruhestand. Heute verbringt er seinen Lebensabend in Görsroth.

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 14. Oktober 2016

 

„Dann gehört Euer Haus mir!“

 

Zeitzeugin Margarete Heitbrede spricht bei den Idsteiner Reservisten über die Flucht aus ihrer ostböhmischen Heimat

 

An den Krieg hat die 1939 im ostböhmischen Zwittau geborene Margarete Heitbrede kaum Erinnerungen – wohl aber an die Vertreibung im Jahr 1946. Jetzt berichtete sie beim Zeitzeugen-Abend der Idsteiner Reservisten von ihren Erfahrungen. „Wenn man als Kind so etwas miterlebt, prägt das sehr.“ Sie musste mit ihrer Mutter und den Großeltern mütterlicherseits den Heimatort Pohler südlich des heute in Tschechien gelegenen Zwittau verlassen – der Vater war noch in Gefangenschaft. „Eines Tages kam eine Tschechin zu meiner Mutter und mir. Sie sagte: In zwei Wochen komme ich, dann gehört das Haus mir!“ Sie packten alles zusammen und zogen in den Nachbarort zu den Großeltern.

Von dort ging es mit einem Leiterwagen nach Zwittau. Hier kamen sie in ein Lager, in dem die Familie wiederum zwei Wochen blieb. „Dann machten wir uns auf den Weg. Mein Großvater war Schreiner und hatte große Kisten gemacht, in denen wir all unsere Habe verstauen konnten. Wir konnten wirklich viel mitnehmen.“ Von Zwittau fuhr Margarete Heitbrede mit Mutter und Großeltern in einem Güterzug Richtung Westen. „Unterwegs hielten wir immer wieder an Stationen, an denen wir verpflegt wurden. Da ich noch klein war, konnte ich im Güterwagon oben am vergitterten Fenster sitzen.“

 

In einem winzigen Zimmer ohne Ofen untergebracht

 

Mit dem Zug ging es dann bis nach Hahn, von dort zu Fuß weiter bis nach Bleidenstadt. „Hier wurden wir in einem großen Saal auf Feldbetten untergebracht. Nach zwei Wochen wurden wir schließlich in Privatquartiere verteilt. Mutter und ich bekamen ein winziges Zimmer ohne Ofen zugeteilt.“ In Bleidenstadt wurde sie auch eingeschult – viele Flüchtlingskinder waren in der Klasse. „Ich habe nur gute Erinnerungen an die Schulzeit. Wir Flüchtlingskinder wurden von den anderen Kindern herzlich aufgenommen. Nirgends spürten wir dort Ablehnung.“ Der Vater wurde zu dieser Zeit in der Ostzone aus der Gefangenschaft entlassen. „Der Bürgermeister in Bleidenstadt hätte eine Zuzugsgenehmigung ausstellen müssen. Dann hätte mein Vater ohne Probleme zu uns kommen dürfen.“ Doch der Bürgermeister weigerte sich, als die Mutter vorsprach. „Ich gebe ihnen keine Zuzugsgenehmigung – gehen sie doch dort hin, wo ihr Mann ist“, war seine Antwort auf ihre Bitte. Aber über Beziehungen gelang es der Mutter, auf anderem Wege eine Zuzugsgenehmigung zu erhalten. In der Zwischenzeit war dem Vater mit einem Freund zusammen die Flucht in den Westen gelungen. Er kam pünktlich zu Weihnachten 1946 in Bleidenstadt an. „Es war das schönste Weihnachtsfest meines Lebens“, so Margarete Heitbrede unter Tränen. Der Vater brachte ihr ein Märchenbuch und Zuckerzeug als Christbaumschmuck mit. „Unser Zimmer hatte gerade einmal zwölf Quadratmeter. Da war nicht viel Platz für den Christbaum. Tagsüber stellten wir ihn auf das Bett, nachts stand er auf dem Tisch.“

 

Lebensmittel beim Müller erbettelt

 

In den schweren Anfangszeiten wurde Margarete Heitbrede immer wieder von ihrer Mutter zur nahe Bleidenstadt gelegenen Stiftsmühle geschickt, um Lebensmittel zu erbetteln. „Ich habe immer gebetet: Lieber Gott, bitte lass die Frau Müller da sein. Denn die hat mir immer etwas gegeben. Der Müller selbst hat nur geschimpft. Dabei war meine Mutter gar nicht wählerisch. Sie nahm alles dankend, was ich brachte. Andere Flüchtlinge waren da schon anders.“ Nach einem halben Jahr zog Margarete Heitbrede mit ihren Eltern in ein größeres Zimmer. Dann kamen sie beim Bauer Diefenbach unter. Hier gab es eine große Küche, ein Schlafzimmer für die Eltern und ein kleines Kinderzimmer.

 

Zwischenzeitlich hatte der Vater Arbeit auf dem Hofgut der Familie Poulet gefunden. Dort lebten viele Kinder. „Immer wenn keine Schule war, war ich dort. Es war wie ein Paradies.“ Für den Vater war das alles kein Paradies. Tagsüber arbeitete er auf dem Gut, abends musste er noch Bauer Diefenbach helfen. Anfang der 1960er Jahre hatte der Vater dann genug gespart, um in der Stefanstraße bauen zu können. „4,50 D-Mark kostete damals der Quadratmeter Bauland.“ Bleidenstadt war zwischenzeitlich für Margarete Heitbrede längst zur Heimat geworden. „Für meinen Großvater wurde es nie Heimat. Er hat immer nur gejammert und ist schließlich vor lauter Heimweh an gebrochenem Herzen gestorben. Die Menschen dachten ja doch wirklich, dass sie wieder zurückkehren würden in die alte Heimat.“ Doch dies blieb für alle nur ein Wunsch.

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 14. Dezember 2016

 

„Schlägertrupps bleiben in Erinnerung“

 

Karlheinz Bernhard berichtet bei der Reservistenkameradschaft Idstein von seinen Kriegserlebnissen

 

Ich bin ein Kind des Taunus“, begann der gebürtige Wiesbadener Karlheinz Bernhard seinen Bericht vor der Reservistenkameradschaft Idstein. „Ich kam am 80. Geburtstag des damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg auf die Welt – am 2. Oktober 1927.“ Seine frühesten Erinnerungen reichen ins Jahr 1933 zurück. „Von der Machtergreifung habe ich in dem Alter natürlich nichts mitbekommen. Aber an die Schlägertrupps auf den Straßen erinnere ich mich. Eines Tages war ich mit meiner Mutter auf dem Markt, als sie plötzlich sagte: ‚Komm schnell, da stehen sie wieder!’ Sie zog mich in einen Hausflur, dann ging die Prügelei auch schon los – Nazis gegen Kommunisten.“

 

Nach der 4. Klasse ging es in die Mittelschule. „Mein Rektor war Peter Kempf, der Vater des späteren Bischofs.“ Gut erinnert sich Bernhard an die Pogromnacht 1938. „Mein Vater kam nach Hause und sagte: ‚In der Stadt ist Durcheinander. Die Judenkirche brennt!‘“ Bernhard lief hin und sah, dass die Kuppel eingestürzt war und brannte. „Ein Mann kam aus der Bahnhofstraße und rief: ‚Die haben bei denen Gewehre rausgeholt!‘ Das hörte sich für uns natürlich so an, als seien die Juden bewaffnet gewesen. Später stellte sich heraus, dass es nur Jagdwaffen waren.“ Dann begann der Krieg, der auch nach Wiesbaden kam. 1942 gab es den ersten Flächenangriff. Am 18. Mai 1943 wurde Bernhard Luftwaffenhelfer. Im März 1944 wurde er von der Luftwaffe entlassen und trat seinen Dienst beim Reichsarbeitsdienst (RAD) in Oldenburgisch Birkenfeld an.

 

„Zuvor hatten wir die Chance, innerhalb einer Woche den Realschulabschluss nachzuholen. Nicht alle haben diese Chance ergriffen – ich schon.“ Bei der Verlegung seiner RAD-Einheit nach Thüringen wurde diese von amerikanischen Thunderbolt-Jagdbombern angegriffen. „Ich wurde fast getötet. Ich wurde verschüttet, nur mein Kopf schaute noch heraus.“ Im Lazarett wurde Bernhard versorgt. „Besonders schlimm war das Reinigen der verletzten Hände – das waren Schmerzen!“ Beim Rauchen musste ihm eine Schwester die Zigarette halten.

 

Am 29. März 1945 den Amerikanern ergeben

 

Am 18. November 1944 wurde er aus dem RAD entlassen, am 24. November meldete er sich beim motorisierten Flugabwehrbataillon 66 in Mainz zum Dienst. „Motorisiert war leicht übertrieben – es gab nur noch ein Motorrad!“ Am 12. Dezember musste die Einheit außerplanmäßig antreten. „Erst dachten wir, es sei eine Übung. Doch dann erhielten wir die eiserne Ration – Schmalzfleisch und Hartbrot – sowie eine Patronentasche mit 60 Schuss Infanteriemunition. Am 15. Dezember wurden wir verlegt – Richtung Westen. Wie wir erst später erfuhren, sollten wir die zweite Welle bei der Ardennenoffensive sein. Als sich dann das Blatt in der Ardennenoffensive wendete, wurden wir zurückverlegt.“ Über verschiedene Stationen ging es bis Wallrabenstein. „Auf der Straße nach Wörsdorf haben uns am 29. März 1945 zwei amerikanische Panzer aufgehalten, denen wir uns ergeben haben. Mit fünf Kameraden kam ich in Gefangenschaft.“ Nach dem Aufenthalt in verschiedenen Lagern in Frankreich wurde Karlheinz Bernhard am 18. September aus der Gefangenschaft entlassen.

 

Bernhard ging nach dem Krieg seinen Weg. Er machte sein Abitur nach und studierte auf Lehramt. Heute verbringt er seinen Lebensabend in Idstein, wo er lange Jahre – gemeinsam mit seiner Frau – Lehrer an der Realschule war.

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 17. Dezember 2016

 

Reservistenkameradschaft Idstein spendet 1000 Euro aus Bucherlös an den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge

 

Joachim Unruh, Oberst a. D. vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, freut sich. „1000 Euro sind viel Geld. Wir sind auf Spenden angewiesen. Eine tolle Sache.“ Am Donnerstagabend hatte die Reservistenkameradschaft Idstein eingeladen.

 

Oberstleutnant Jörg Fried von den Reservisten hatte die ehrenvolle Aufgabe, den symbolischen Scheck an Unruh zu überreichen, der Beauftragter für die Zusammenarbeit der Kriegsgräberfürsorge mit der Bundeswehr in Hessen ist.

 

Geschichten von den Zeitzeugenabenden

 

Das Geld stammt aus dem Erlös des Buches „Wir waren dabei“, das Fried mit Co-Autor Klaus Bücher, ebenfalls von den Kameraden, produziert hat. Seit April 2011 veranstaltet die Kameradschaft in unregelmäßigen Abständen Zeitzeugenabende, an denen Gäste von ihren Erlebnissen vor, nach und während des Zweiten Weltkrieges berichten. Jörg Fried protokollierte die Erzählungen und beschloss mit Klaus Bücher, ein Buch daraus zu machen.

 

29 Berichte von sieben Frauen und sechzehn Männern sind in dem 160 Seiten starken Buch mit dem Titel „Ich war dabei“ zusammengefasst. „Ich habe ein halbes Jahr daran gearbeitet, sagt der 48-jährige Idsteiner Fried. Klaus Bücher kümmerte sich um Fotos und Dokumentationen. Neben den Berichten der Zeitzeugen enthält das Buch Anlagen wie Briefe, Dokumente oder einen Tagebuchauszug mit Kriegserlebnissen ab 1941. „Im November haben wir abzüglich aller Kosten, die uns entstanden sind, die 1000-Euro-Schwelle überschritten. Es war klar, dass wir das Geld der Kriegsgräberfürsorge spenden.“

 

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge widmet sich im Auftrag der Bundesregierung der Aufgabe, Gräber der deutschen Kriegstoten im Ausland zu erfassen, zu erhalten und zu pflegen. Er betreut Angehörige in Fragen der Kriegsgräberfürsorge, berät öffentliche und private Stellen, unterstützt die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kriegsgräberfürsorge und fördert die Begegnung junger Menschen an den Ruhestätten der Toten. 70 Prozent der Kosten werden durch Spenden finanziert, den Rest decken öffentliche Mittel des Bundes und der Länder.

 

Gegründet wurde die gemeinnützige Organisation am 16. Dezember 1919 – aus der Not heraus. Die noch junge Reichsregierung war weder politisch noch wirtschaftlich in der Lage, sich um die Gräber der Gefallenen zu kümmern. Dies übernahm fortan der Volksbund, der sich als eine vom ganzen Volk getragene Bürgerinitiative verstand. Nach der politischen Wende in Osteuropa nahm der Volksbund seine Arbeit auch in den Staaten des einstigen Ostblocks auf, wo im Zweiten Weltkrieg etwa drei Millionen deutsche Soldaten ums Leben kamen – mehr als doppelt so viele, wie auf den Kriegsgräberstätten im Westen ruhen. Viele der über hunderttausend Grablagen sind nur schwer auffindbar, zerstört, überbaut oder geplündert. Heute werden pro Jahr 30 000 Gefallene identifiziert und beerdigt.

 

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