7. Januar 2014: Neuwahlen und Ehrungen
11. Februar 2014: Weltkriegssoldat Kurt Zimmer referiert über
seine Erlebnisse in Italien
18. März 2014: Ein Fallschirm wird zum Hochzeitskleid
22. April 2014: Eine Kindheit in Masuren
16. Mai 2014:
Eine junge Liebe in Kriegstagen
23. Juni 2014: Schwere
Zeiten - Hünstetter Werner Kilb erzählt von
Kriegserlebnissen
30. September
2014: Rudolf Zarda erzählt …
10. Oktober
2014: Idsteiner Reservisten erneuern Bänke
15. Oktober
2014: Erika Steinberger berichtet …
4. Dezember 2014:
Heinz Koch berichtet bei den Idsteiner Reservisten über seine
Kriegserlebnisse
Die Zeitzeugenabende der Idsteiner Reservisten starteten ins
Jahr 2014 so, wie sie 2013 geendet hatten: mit einem Vortrag des 89-jährigen
Kurt Zimmer. Dieses Mal setzte er da an, wo er im letzten Jahr geendet hatte:
im Süden Frankreichs des Jahres 1943.
Von Südfrankreich ging es Ende März 1943 mit dem Zug Richtung
Italien. Die Fahrt dauerte einige Tage. „Wir konnten uns nicht waschen oder die
Kleidung wechseln. Da kam uns ein Zwischenstopp an einem Flüsschen gerade
recht.“ So stürzten sich an die 100 junge deutsche Soldaten in den Fluss, um zu
baden. „Am Gegenufer waren drei junge Italienerinnen gerade mit ihrer Wäsche
beschäftigt – als wir halbnackt in den Fluß stürzten,
waren sie aber ganz schnell verschwunden.“ Am Vesuv vorbei ging die Reise bis
nach Villa San Giovanni, wo die Truppe nach Messina auf Sizilien übersetzte.
Schlimmer Anblick
Der Fuß des schneebedeckten Ätna war das Ziel. „Hier begegnete
uns zum ersten Mal der Krieg. Im Landesinnern an einem getarnten deutschen
Felddepotplatz hielten wir eine Weile, und hier sah ich einen im Gesicht schwer
brandgezeichneten deutschen Piloten. Da schlug auf einmal das Herz schneller,
und wir wurden alle stiller und nachdenklicher.“
In Misterbianco bei Catania wurde
Quartier bezogen. Nach und nach wurden Funktrupps gebildet und einzeln in die
ländliche Nähe kleiner Orte verlegt. Im Juni 1943 erhielt Zimmers Einheit ein
Funkfahrzeug, auf dem er ab sofort eingesetzt wurde – ein erbeuteter
amerikanischer Dodge. Vor ihm lag sein erster Nachteinsatz als Wache am
Funktrupp. „Ich hatte richtig Angst! In dieser Nacht passierte noch nichts,
jedoch der nächste Tag brachte böse Überraschungen. Um den Bogen der Bucht sah
ich sechs Flugabwehr-Stellungen, zu denen ich schnellstens Kontakt aufnehmen
wollte. Aber als ich hinkam, traf mich fast der Schlag, denn die Stellung war
leer, unbesetzt, alle Verschlüsse an den Kanonen waren unbrauchbar, die
italienische Besatzung war ohne all ihre persönliche Habe desertiert.“ Doch es
kam noch schlimmer, hinter der Bucht von Augusta in der offenen See lagen drei
englische Kreuzer auf Reede, die dabei waren, ungestört ihre Landungsboote mit
Panzern und allerlei anderem Kriegsgerät zu beladen. „Man muss mich wohl
bemerkt haben, denn wenig später setzte deren Artillerie Störfeuer zur leeren
Geschützstellung ein, und ich gab schleunigst Fersengeld! Es gab keine deutsche
Abwehr, das bedeutete nichts Gutes. Uns wurde sofortiger Stellungswechsel in
Richtung Catania befohlen.“
Dann erkrankte Kurt Zimmer. Er bekam über 41 Grad hohes
Fieber. Im Lazarett in Catania dann die Diagnose: ein starker Malariaanfall.
Über verschiedene Lazarette ging es zurück in die Heimat bis nach Weiden in der
Oberpfalz. Nach drei Wochen wurde Zimmer diensttauglich geschrieben und erst
nach Karlsbad, dann nach Amersfort in den
Niederlanden verlegt. An den Nachwirkungen der Malaria leidet Kurt Zimmer
übrigens noch heute.
Ernste und lustige Schilderungen wechselten sich beim
Zeitzeugenbericht von Kurt Zimmer bei den Idsteiner Reservisten ab. Ende 1944
war er als Mitglied der Besatzungstruppe in Holland stationiert – einquartiert
bei einer einheimischen Großfamilie. „Ich war damals knapp 20. Man sah mich
dort nicht als deutschen Soldaten an, sondern als weiteren Sohn in der
Familie.“ Seine Verpflegung musste sich Kurt Zimmer jedoch selbst bei seiner
wenige Kilometer entfernten Dienststelle besorgen – per Fahrrad.
Freundschaftliche Bande
Dabei ging es über viele kleine Wasserverbindungen, die das
Land durchschnitten. Die festen Stege waren von der Bevölkerung zerstört und
durch stabile Dielen ersetzt worden, die man notfalls entfernen und somit den
Weg sperren konnte. „Eines Tages nun war ich mit einem Kameraden unterwegs zum
Verpflegungsempfang. Ich ermahnte ihn, dass wir immer nur einzeln über die
Stege gehen sollten, da ich nicht wusste, was sie aushielten.“ Leider hielt
sich sein Kamerad nicht daran. „Es krachte, und wir landeten beide im eiskalten
Wasser.“ In seiner Einquartierungsfamilie packte ihn seine „Mutter“ sofort in
ein warmes Bottichbad. Nach dem Krieg besuchte Zimmer
„seine“ Familie und wurde herzlich aufgenommen. Dabei erfuhr er auch, dass
seinerzeit einer der Söhne den Steg angesägt hatte. „Wir konnten nachträglich
alle sehr darüber lachen.“
Wie dicht Freud und Leid beieinanderliegen, konnten die
zahlreichen Zuhörer bei der weiteren Erzählung förmlich spüren. Ende 1944
wollte Kurt Zimmer heiraten. Er bekam Heimaturlaub. Allein die Heimreise war
schon ein Abenteuer. Und dann wäre die Hochzeit fast an bürokratischen Hürden
gescheitert. „Ich war im Meldeamt nirgends registriert. Einen Kurt Zimmer gab
es nicht. Nur einen Adolf Zimmer – als solcher wurde ich nach meiner Geburt
versehentlich eingetragen.“ Schließlich konnte doch geheiratet werden. Das
Hochzeitskleid wurde übrigens aus einem alten Fallschirm geschneidert. Die
Hochzeit selbst kam einer Katastrophe gleich. Die Familie war zerstreut, nur
zwei Gäste waren in der ungeheizten Kirche kurz vor Weihnachten 1944 in Opladen
dabei.
Als es dann für Kurt Zimmer wieder zurück nach Holland gehen
sollte, geschah das nächste Unglück. In der Nacht vom 27. auf den 28. Dezember
1944 ging der schwerste Bombenangriff auf Opladen nieder. Die Familie wohnte in
der Nähe eines Ausbesserungswerkes, das Ziel dieses Angriffs war. Um halb
sieben morgens ertönten die Sirenen. Nur mit Hose und Jacke bekleidet,
erreichte Kurt Zimmer mit Frau und Mutter den Bunker. Dann ging der Angriff auch
schon los.
Eine der ersten Bomben muss das Wohnhaus der Familie
getroffen haben. Als sie den Bunker verließen, war vom Haus nichts mehr zu
sehen. Irgendwo in einem Baum hing noch das Hochzeitskleid und wehte im Wind.
Schließlich ging es dann für Kurt Zimmer wieder zurück zur
Truppe. „Dort musste ich mich noch rechtfertigen, weshalb ich meine
Erkennungsmarke vor dem Bombenangriff abgelegt hatte und sie so verloren ging.
Aber wer trägt als frisch verheirateter Mann nachts im Bett schon seine
Erkennungsmarke?“, so Kurt Zimmer schmunzelnd.
„Meine Kindheit in
Masuren war wundervoll“, begann Edelgund Derscheid ihren Bericht im Rahmen der „Idsteiner
Zeitzeugenabende“. Mit 79 Jahren – Jahrgang 1934 – war sie der bislang jüngste
Gast der von der Reservistenkameradschaft Idstein seit April 2011 initiierten
Reihe.
Ihr 1906 geborener Vater war als Zeitsoldat beim Reichsheer
verpflichtet. „Wir lebten damals in der Kaserne. Das war ganz normal. So war
auch für mich der Umgang mit Soldaten ganz normal. Ich fand es spannend, den
Soldaten beim Exerzieren zuzuschauen“. 1938 wurde ihr Vater entlassen und als
Zollbeamter in ein neues Zollgehöft nach Schützengrund im Kreis Ortelsberg berufen. Heute liegen diese Orte in Polen.
Das Gehöft lag etwa eineinhalb Kilometer von der Schule
entfernt, in der Edelgund Derscheid
1940 eingeschult wurde. Da zeigten sich schon die Spuren des Krieges. „Die
Schultüte war zu Zweidrittel mit Holzwolle ausgestopft, nur der Rest war mit
Süßigkeiten gefüllt. Woher meine Mutter diese dann noch ergattert hatte, weiß
ich bis heute nicht.“ Sie bekam den typischen Tornister mit Schiefertafel und
besuchte die einklassige Dorfschule. „Als später im Krieg die Evakuierten aus
Berlin zu uns kamen, waren wir bis zu 60 Kinder in der Klasse.“
Als der Krieg weiter fortschritt, wurde oft Unterricht auch
von „Arbeitsmaiden“ gehalten, jungen Mädchen, die
nach dem Abitur ihren Arbeitsdienst leisten mussten. Der Unterricht begann
morgens mit Volksliedern, der Lehrer begleitete auf seiner Geige. Dann folgte
ein Gebet für den „Führer“.
Beschwerlicher Schulweg
Der Weg zur Schule war besonders in den harten masurischen
Wintern beschwerlich. Wenn der Schneepflug noch nicht durch war, musste man
sich durch den hohen Schnee quälen. „Das war keine Entschuldigung für Zuspätkommen.“
Im weiteren Kriegsverlauf wurde die Familie in ein kleines Dorf nahe Stettin
evakuiert. Hier fand auch die Taufe des Bruders statt. Dazu bekam der Vater
extra Fronturlaub. Mit einer von einem Bauern geliehenen Kutsche ging es zur
sieben Kilometer entfernten Kirche.
Durch den Krieg fehlten im Dorf die Männer. Diese wurden
durch polnische Fremdarbeiter ersetzt. Es war Vorschrift, dass diese nicht bei
den deutschen Familien am Tisch sitzen durften. Aber die Mutter bediente sich
eines Tricks. Sie stellte die Nähmaschine an den Tisch und deckte dort für den
Fremdarbeiter ein. Somit saß er nicht mit am Tisch.
1944 wurde Edelgund Derscheid zur Jungmädelschar
bestellt. Uniformen gab es schon nicht mehr, sie trug eine sogenannte
„Berchtesgadener Wolljacke“, einen blauen Rock mit weißer Bluse und Halstuch.
Als sich das Kriegsende näherte, begann die Evakuierung nach
Westen. In dieser Zeit fielen nahe des Dorfes drei
Bomben, die riesige Krater rissen. Die Schüler marschierten singend dort hin,
um sich das alles aus der Nähe zu betrachten. Schließlich ging es doch weg nach Westen. Mit einem Zug fuhr die Familie bis nach
Lübeck. Hier in einer Dorfscheune endete 1945 zuerst
einmal die Evakuierung und auch der Zweite Weltkrieg für Edelgund
Derscheid.
Ihren lebhaften Vortrag an diesem Abend untermalte sie mit
Fotos und allerlei Andenken – unter anderem ihrer Kinderpuppe, die sie aus dem
Krieg retten konnte.
Von ihrem bewegten Leben erzählte Irmentraut Velten, die 1927
in Rosenhain im Sudetenland zur Welt kam, beim jüngsten Zeitzeugen-Abend der
Reservistenkameradschaft.
Die Gegend nahe der Grenze zum Deutschen Reich war
industriell erschlossen und recht wohlhabend. So war es üblich, dass
tschechische Mädchen aus südlicheren Landesteilen während der Schulzeit als
Austauschschülerinnen in den Norden kamen – so auch in die Familie von
Irmentraut Velten. „Allerdings gab es immer wieder Schwierigkeiten mit diesen
Mädchen. In Briefen nach Hause beschwerten sie sich über uns Deutsche und
machten alles schlecht. Ein Mädchen wäre fast von den Eltern abgeholt worden, wenn
mein Vater nicht geschlichtet hätte.“
1938 kam der „Anschluss“ des Sudetenlandes an das Deutsche
Reich. „Wir Mädchen kamen sofort zum BDM – dem Bund Deutscher Mädel. Ich war
damals elf Jahre alt und genoss die Zeit im BDM sehr. Dass wir ideologisch beeinflusst
wurden, war uns ja nicht bewusst. Wir sahen nur das Gesellige.“
Als der Krieg begann, wurden die BDM-Mädchen aufgefordert,
Soldaten an der Front Briefe zu schreiben. „Das sollte die Kampfmoral heben. Es
sollte zeigen: Die Heimat denkt an Euch. Mir war das aber zu dumm.“ Einer
Freundin sagte Irmentraut Velten: „Dafür ist mir das Briefpapier zu schade.“
Unerwartete Post
Und doch kam eines Tages ein Brief von einem Soldaten – ohne
dass sie geschrieben hatte. Aber die Lösung war einfach: Ein Vetter hatte ihre
Adresse an einen Kameraden weitergegeben, der gerne auch einem Mädchen
schreiben wollte – und dieser Kamerad mit Namen Wilhelm Velten schrieb nun.
„Ich hatte gar kein Interesse, zu antworten. Das sagte ich auch einer
Schulkameradin. Diese meinte dann: Gib‘ mir die Adresse, dann schreibe ich.
Aber dann dachte ich mir: Nein, dass gönn‘ ich ihr nicht – da schreibe ich
lieber selbst.“
Der Weg nach Westen
Dass sich daraus eine inzwischen 60 Jahre währende Ehe
entwickelt, hätten beide nicht gedacht. „Wir schrieben uns, schickten Fotos –
und anständig, wie ich mit 16 war, zeigte ich auch alle Briefe meinen Eltern.“
Erst 1945 – genau am 4. April – lernten beide sich persönlich kennen. Auf dem
Weg zu seiner Einheit kam Wilhelm Velten nach Rosenhain. „Als er ins Haus kam,
erkannte ich ihn erst nicht, aber mein Vater rief: Das ist doch dein Wilhelm!“
Wilhelm Velten versuchte, die Familie von Irmentraut dazu zu
bewegen, vor den anrückenden Russen zu flüchten. „Mein Vater weigerte sich – er
glaube noch immer an den Endsieg.“ Doch kurz vor dem Einmarsch der Russen floh
die Familie in den Wald und versteckte sich. „Das war unser und mein Glück –
die Russen zogen plündernd und vergewaltigend durch das Dorf. Als wir dann
zurückkehrten, waren die Russen wieder weg.“
Dann ging es westwärts, über viele Stationen bis nach Erfurt.
„Thüringen war noch von den Amerikanern besetzt. Zwei Wochen später erfolgte
der Tausch gegen Westberlin, und wir waren in der sowjetischen Zone.“ Wilhelm
Velten musste inzwischen die Familien wieder verlassen und schlug sich bis nach
Hochheim in seine Heimat durch. Irmentraut Velten bekam eine Arbeit bei der
„Olympia Schreibmaschinen-Fabrik“. Erst 1950 wurde ihr die Ausreise nach
Frankfurt am Main gestattet – durch Fürsprache eines Vorgesetzten.
Doch zurück kehrte Irmentraut Velten nicht. 1953 heiratete
sie ihren Wilhelm, der selbst schon dreimal Gast beim Idsteiner Zeitzeugenabend
war und seine Kriegserlebnisse geschildert hat.
Mitten im vierten Kriegsjahr 1943 kam der gebürtige Limbacher Werner Kilb als 16-Jähriger für sechs Wochen ins
Wehrertüchtigungslager ins belgische Spa, berichtet
er bei der jüngsten Veranstaltung der Idsteiner Reservisten. „Hier waren wir
als Hochposten an der Bahnstrecke eingesetzt. Die ganze Nacht mussten wir auf verdächtige
Geräusche achten, die von Saboteuren stammen konnten.“ Am 27. Juni 1944
erfolgte seine Einberufung zur Wehrmacht. In Idstein versuchte in dieser Zeit
die SS, junge Männer mit Filmvorführungen zu werben. Aber Kilb lies sich trotz verlockender Angebote mit Geld und guten
Posten nicht ködern.
Nach Ausbildung und Lehrgängen erlebte Kilb seine Feuertaufe
in einer der letzten großen Schlachten des Zweiten Weltkriegs – der
Ardennenoffensive im Dezember 1944. „Ich war hier mit meinen Kameraden als vorgeschobener
Beobachter eingesetzt. Wir waren ja alle völlig unerfahren. Von 180 überlebten
die Ardennenschlacht nur fünf.“
Als sich dann das Ende des Krieges abzeichnete, setzte er
sich mit seinen Kameraden über die Elbe nach Westen ab. Sie gerieten am 22.
April 1945 in amerikanische Gefangenschaft. „Bis zum offiziellen Kriegsende am
8. Mai lagerten wir auf offenem Gelände. Dann wurden wir in einen Zug gestopft
und nach Rüsselsheim gebracht. Unter den Amerikanern herrschte ausgelassene
Stimmung, sie feierten ihren Sieg.“
Von hier ging es in eins der berüchtigten Rheinwiesenlager
nach Bretzenheim, das sogenannte „Feld des Jammers“. Ursprünglich für 45 000
Gefangene vorgesehen, waren hier letztendlich über 100 000 Menschen
untergebracht, als das Lager im Juni 1945 aufgelöst wurde. Bei seiner
Entlassung wog Kilb nur noch 45 Kilo.
Eigentlich wollte Rudolf Zarda –
geboren am 6. Januar 1925 im damals tschechoslowakischen Teplitz-Schönau
(Teplice) – Koch oder Konditor werden. Doch sein damaliger Lehrer sagte: „Du
musst zur Handelsschule.“ Mit 18 ging es pflichtgemäß zum Reichsarbeitsdienst
(RAD) nach Brünn. Nur kurz dauerte die Zeit dort,
dann ging es nach Prag. „Einige von uns hielt es abends nicht in der
Unterkunft. Sie nutzten einen nächtlichen Ausflug für einen Bordellbesuch“,
berichtete Zarda beim Zeitzeugengespräch mit den
Idsteiner Reservisten – und fügte mit einem Schmunzeln hinzu: „Neben dem Geld
für diesen Besuch bezahlten sie nach Ihrer Rückkehr auch noch mit drei Tagen
verschärftem Arrest.“
Gefecht verschlafen
Ende August 1943 wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Offizier
wurde er nicht – „wegen Interesselosigkeit im Dienst wurde ich nicht als
Offiziersbewerber zugelassen“. Mit seiner Einheit – einer bespannten Artillerie
– ging es nach Polen. „Mein erstes Gefecht dort habe ich regelrecht
verschlafen. Ich wachte auf, als alles vorbei war.“ Von der Weichsel ging es
zum Dukla-Pass, wo Ende 1944 harte Gefechte zwischen
Deutschen und Russen stattfanden. Hier wurde Zarda
schwer verwundet. „Ende April 1945 kam dann die Nachricht, dass Hitler im Kampf
gefallen sei.“ Am 8. Mai um Mitternacht war der Krieg für Rudolf Zarda zu Ende. „Dann durften wir gehen, wohin wir wollten.
Ich entfernte den Adler von meiner Uniform und machte mich auf den Weg nach
Hause.“ Unterwegs wurde Zarda von Russen in einem
amerikanischen Militärfahrzeug mitgenommen bis nach Teplitz
und erreichte sein Elternhaus. Sein Vater, im Krieg Luftschutzwart und für eine
Fabrik in Tepliz zuständig, nahm auch nach Kriegende
seine Aufgabe wahr und schaute dort täglich nach dem Rechten. Als die Russen seinen
Vater an der Fabrik sahen, erschossen sie ihn ohne Vorwarnung. „So
unterschiedlich sind die Menschen: Die einen Russen nahmen mich im Auto mit,
die anderen erschossen meinen Vater.“ Dann wurde Zarda
zur Zwangsarbeit eingesetzt. Zuerst als Bergarbeiter, dann als Lokführer. Im
Juli 1946 wurde er mit seiner Familie nach Apolda „evakuiert“, auch die
bettlägerige 86-jährige Großmutter musste mit. Sie überlebte die Reise nicht.
Nach seinem Abitur 1948, einem Studium in Jena, Leipzig und Berlin und einer Tätigkeit
bei Mitropa in Ostberlin durfte Rudolf Zarda 1957 in
den Westen ausreisen. Hier setzte er seine berufliche Karriere erfolgreich bis
zum Eintritt in den wohlverdienten Ruhestand fort.
Seit nunmehr 15 Jahren pflegt die Reservistenkameradschaft
Idstein die Gedenkstätte „Kriegsgräberstätte Idstein“ auf dem Idsteiner
Friedhof. Jeweils im Frühjahr und im Herbst steht ein Arbeitseinsatz an. Dabei
werden die Grabplatten gereinigt, Moos und Unkraut von Hand entfernt sowie
kleinere Ausbesserungsarbeiten an der Umfassungsmauer ausgeführt. Zusätzlich stand
in diesem Jahr die Erneuerung der beiden Bänke auf dem Gräberfeld an.
Die Holzauflagen waren über die Jahre durch die
Witterungseinflüsse marode geworden und mussten ersetzt werden. Im Rahmen des
Herbst-Einsatzes konnten die neuen Bänke nun montiert werden, für die die Stadt
Idstein das Material zur Verfügung stellte.
Die nächste öffentliche Führung über die Gedenkstätte im
Rahmen der Stadtführungen findet am 26. Oktober um 14.30 Uhr statt.
Bereits vor gut zwei Jahren war Erika Steinberger zu Gast bei
den Idsteiner Zeitzeugenabenden, zu denen die Reservistenkameradschaft Idstein
seit 2011 in unregelmäßigen Abständen einlädt. Damals berichtete Sie über Ihr
Leben von Kindesbeinen an bis hin zur schweren Nachkriegszeit in Wiesbaden.
Diesmal ging die 88-jährige gebürtige Frankfurterin mehr und intensiver auf die
Zeit des Nationalsozialismus ein.
Spielen verboten
Die Auswirkungen spürte sie schon sehr früh mit neun Jahren,
als ihr verboten wurde, mit den jüdischen Nachbarskindern zu spielen.
Seinerzeit lebte Erika Steinberger bei ihrer Tante, die in Battenberg an der
Eder Lehrerin war. Diese wurde von einem Kollegen beim Direktor angeschwärzt.
„Der Direktor mochte aber meine Tante und hat sie
informiert.“ Wenn in der Schule gebetet wurde, mussten die jüdischen Kinder den
Unterrichtsraum verlassen. Erika Steinberger erinnert sich noch an die Worte
ihres Lehrers: „So ihr Judenkinder, jetzt verlasst Ihr mal den Raum.“ Nach dem
Gebet durften die Kinder wieder in das Klassenzimmer zurückkommen.
Seinerzeit gab es viele jüdische Mitbürger in Battenberg –
sie betrieben drei kleine Textilgeschäfte oder arbeiteten als sogenannte
„Viehjuden“, also als Viehhändler. „Von einigen weiß ich, dass ihnen die
Ausreise in die USA gelang, von anderen verlor sich jede Spur.“ In der zweiten
Hälfte der 1930er Jahre kehrte Erika Steinberger zurück zu ihrer Familie nach
Frankfurt. „Auch dort hatten wir Juden im Bekanntenkreis. Besonders erinnere
ich mich an die Familie List. Der Vater war Jude, die Mutter Christin. Der Sohn
galt damals als sogenannter Halbjude. Jedes Jahr um die Weihnachtszeit haben
sich unsere Familien zum Musizieren und zu einem gemeinsamen Festessen
getroffen. Es war eine wundervolle Zeit.“
Dann kam die Zeit, als die Frankfurter Juden ihre Wohnungen
verlassen mussten. „Die Familie musste ins Ostend ziehen. Wir wohnten damals in
Höchst, wo viele Akademiker lebten, die in den Farbwerken arbeiteten. Darunter
waren auch sehr viele Juden. Nach und nach verschwanden sie aus der
Nachbarschaft.“
Der Sohn der Familie List war Luftwaffenoffizier. Als 1942
dann auch die sogenannten „Halbjuden“ nicht mehr in der Wehrmacht dienen
durften, wurde er unehrenhaft entlassen. Der Familie gelang damals die Flucht
über die „grüne Grenze“ in die Schweiz. Erika Steinberger machte Anfang 1944
ihr Abitur und wurde dann sofort dienstverpflichtet. Sie arbeitete in der
sogenannten „Frauenmilchsammelstelle“.
„Dort lieferten Mütter Muttermilch ab, die sie für ihre
eigenen Kinder nicht benötigten, und erhielten dafür zusätzliche
Lebensmittelkarten. Diese Muttermilch wurde dann an andere Mütter abgegeben.
Meist waren es die Frankfurter Parteibonzen, die dies in Anspruch nehmen
konnten.“
Weg ins Ungewisse
Dann näherte sich das Kriegsende. Frankfurt wurde immer
heftiger angegriffen und bombardiert. „Eines Tages traf ich im Bunker auf einen
Soldaten, der von der Front zurückgekehrt war. Er wollte seine Familie besuchen
– aber er fand nichts mehr. Das Haus war nur noch ein Schutthaufen, von der
Familie fehlte jede Spur.“ Im März 1945 marschierten Amerikaner in die Stadt
ein. „Mit Lautsprechern wurden wir aufgefordert, binnen zwei Stunden unsere
Häuser zu räumen. Wohin wir sollten, sagte man uns nicht.“ Die Familie kam bei
Verwandten unter.
Damit endete der Vortrag von Erika Steinberger, dem die große
Zahl an Zuhörern gebannt folgte.
Mit zehn Jahren wurde Koch Mitglied im Deutschen Jungvolk.
Dadurch habe er einen Vorteil gehabt: Er sei von den Manövern befreit gewesen,
die das Jungvolk regelmäßig durchführte. Mit 14 kam er dann zur Hitler-Jugend.
Das war 1944, als der Krieg schon mehr und mehr seinem Ende zuging. Bei der
Hitler-Jugend kam er zur Motorrad-Abteilung. „Wir hatten aber nur noch ein
Motorrad. Das haben wir ständig zerlegt und zusammengesetzt. Gefahren sind wir
damit kaum.“
Ein Arm und ein Auge
Gegen Kriegsende wurde er dann mit vielen anderen für den
Volkssturm ausgebildet – das „letzte Aufgebot“. „Eines Tages kam ein
SS-Offizier in die Stadt. Ich erinnere mich genau, er hatte nur noch einen Arm
und ein Auge. Und er bildete uns dann aus.“ Eineinhalb Wochen wurde er geschult
– an Karabiner, Panzerfaust und Handgranate. „Uns sagte der Offizier: ‚Wenn Ihr
dann später unterwegs seid, dann packt die Panzerfaust an den Fahrradlenker und
den Karabiner auf den Rücken.’ So sollten wir dann dem Feind entgegenrücken.“
Die Älteren – meist die Gymnasiasten – wurden zu Flakhelfern
ausgebildet. Sie waren am Bahnhof eingesetzt, wo die Geschütze auf Waggons
montiert waren.
Angriff auf Eilenburg
„Eines Tages haben feindliche Jagdbomber den Bahnhof kurz und
klein geschossen.“ Dann kam der große Angriff auf Eilenburg. Am 17. April 1945
wurde in Eilenburg Panzeralarm gegeben.
Drei Tage und drei Nächte lag die Stadt unter schwerem Artillerie-Beschuss,
bei dem 90 Prozent des Stadtzentrums zerstört wurden. Von der Ostseite der
Mulde schossen die Russen, aus dem Westen griffen die Amerikaner an. Die
Verluste unter der Bevölkerung hielten sich aber in Grenzen, da es genügend
bombensichere Unterkünfte gab.
Nach dem Angriff war Eilenburg eine geteilte Stadt. Im Osten
waren die Russen als Besatzer, im Westen die Amerikaner. Im Frühjahr 1946 fuhr
Karl Heinz Koch mit einem Freund über die „grüne Grenze“ nach Hamburg. Hier
tauschten sie Alkohol gegen Heringe ein. Bei einer weiteren Fahrt nach Hamburg
erfuhr er, dass die Briten nach zivilen Hilfskräften suchten und gut bezahlten.
Er bewarb sich und wurde genommen. Die Briten beschäftigten Karl Heinz Koch in
Travemünde. Zuerst war er als Küchenhelfer tätig, später als Telefonposten.
Irgendwann besuchte er seine Cousine in Heftrich.
„Dort lernte ich auch meine Frau kennen“, so Koch. Und so fand der gebürtige
Sachse in Hessen sein neues Zuhause.
Der nächste Zeitzeugenabend findet am Donnerstag, 29. Januar,
in der Gaststätte „Ziegelhütte“ statt.